Das Geheimnis ewiger Jugend
Das Geheimnis ewiger Jugend
Die Wiederentdeckung des Rebschnitthandwerks, entwickelt von den italienischen Agronomen Marco Simonit und Pierpaolo Sirch, verhilft Weinstöcken zu „ewiger Jugend“.
Das Friaul ist über die Grenzen hinaus bekannt für hohe Ess- und Trinkkultur. Unter den Weinen der Region zeichnen sich besonders die aromatischen Weißweine Tocai Friulano, Pinot Grigio, Sauvignon Blanc und Chardonnay aus. Vor über 20 Jahren wurden zwei junge Friulaner auf das Rebensterben in ihrer Region aufmerksam. Was Marco Simonit und Pier- paolo Sirch in den heimischen Weinbergen sahen, machte sie nachdenklich und weckte zu- gleich ihren Forschergeist. Die beiden Studenten der Agrarwissenschaften suchten im ge- samten mediterranen Raum nach besonders alten und gesunden Rebstöcken und unter- suchten diese auf ihre Eigenschaften. Nach Jahren der Feldforschung kamen sie dem Ge- heimnis der „ewigen Jugend“ auf die Spur: Entscheidend ist ein richtiger Rebschnitt, der die vitalen Teile des Stockes nicht beschädigt.
Um die Nährstoffreserven auf die Frucht zu konzentrieren, werden bei den meisten Erzie- hungssystemen die Weinreben Jahr für Jahr zurückgeschnitten. Ziel ist es, dabei die Trieb-, Laub- und Traubenentwicklung zu verändern. Durch den Stamm fließen viele Liter Wasser von den Wurzeln in die Blätter und Früchte der Pflanze. Die Intaktheit des hochsensiblen Transportsystems (bestehend aus hauchdünnen Kapillaren) ist hier von entscheidender Be- deutung für Lebensdauer und Produktivität der Rebe. Damit sie unversehrt bleiben, haben die beiden Rebschneider aus Italien den natürlichen Formwillen der Rebe behutsam an das heute übliche Erziehungssystem und seine Varianten angepasst (wie dem intensiveren An- bau mit Drahtrahmen, der sog. Guyoterziehung oder der Kordonerziehung mit Zapfen- schnitt). Diese Art der behutsamen Kultivierung erfordert nicht nur Geduld, sondern auch viel Fingerspitzengefühl. Die wissenschaftliche Methode von Simonit&Sirch besteht dabei aus einer Serie von zusammenhängenden Verfahren, die, wenn kontinuierlich über mehrere Jah- re angewandt, ein kontrolliertes Wachstum der Rebstöcke ermöglichen. Charakterisiert ist die Methode durch das Vornehmen von möglichst kleinen Schnitten und den maximalen Re- spekt des hydraulischen Systems der Rebe. „Wird auf jungen Trieben geschnitten, so ver- narbt die Wunde leichter. Der Stock kann Krankheiten besser abwehren und gesünder blei- ben“, so Marco Simonit. „Im Gegensatz dazu hinterlässt ein Schnitt auf altem Holz eine Wunde, die die Gefäße der Pflanze nachhaltig beschädigt, den Saftfluss beeinträchtigt und gleichzeitig das Eindringen von Holzpilzen erleichtert.“
Was einst im Friaul begann, findet inzwischen zahlreiche Anhänger in und außerhalb Italiens und gilt bereits als kleine Revolution im Rebschnitt. Mittlerweile beschäftigt die Gruppe „Si- monit&Sirch – Preparatori d’Uva“ 16 Berater, welche Weinbaubetriebe in Italien, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Spanien und seit 2012 in Deutschland begleiten. Ihre Methode wurde durch eine Langzeitstudie in über 40 Weingärten verfolgt und wissenschaftlich von zwei Professoren internationalen Ranges unterstützt: Attilio Scienza, Ordinarius für Weinbau und Leiter des Studienzweigs für Weinbau und Önologie an der Universität Mailand und Lau- ra Mugnai, Professor an der Universität Florenz des Studienzweigs Weinbau und Önologie.
Der Ritterschlag erfolgte dann im Mai 2012. Die Jury des italienischen Sommelierverbandes (AIS) verlieh Marco Simonit, stellvertretend für „Preparatori d ́Uva“, die prestigereiche und zugleich wichtigste weinbauliche Auszeichnung des Landes, den Oscar del Vino, und erhob ihn somit zum besten Agronomen Italiens. Die Jury ehrte damit ihre jahrzehntelangen Bemü- hungen, eine Schnittmethode entwickelt zu haben, die die Gesundheit des Stocks erhält und zugleich die Lebensdauer der Pflanze mehr als verdoppelt. Beobachtet man die Entwicklung von Reben, die nach dem System von Simonit&Sirch kultiviert wurden, so lässt sich tatsäch- lich eine deutlich gleichmäßigere und hochwertigere Trieb- und Traubenentwicklung feststel- len.
Mittlerweile vertrauen bereits rund 100 Weingüter in Italien und ganz Europa auf die Methode von „Simonit&Sirch“. Um die Tragweite ihrer Tätigkeit im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Spitzenergebnisse in der Weinproduktion bewusst zu machen, gründeten sie die ersten Schnittschulen des Landes, in denen sie und ihr Team an verschiedenen Standorten die Kunst des richtigen Rebschnitts vermitteln.